Verfügung zum kulturschutzgebiet projekttheater dresden vom 01.09.1997
Prolog
Tatsächlich, es leben in dieser Stadt noch Künstler!
Besonders in den Randbereichen, wo es
kalt und zugig ist, aber auch an
anderen Stellen, bauen sie ihre Nischen und Nester und
versprühen
ihre Kreativität. Dazu gehören seltene Performer oder die in
Dresden fast
ausgestorbenen freien Tänzer und Choreographen. Sie
alle hangeln sich von einem
unterfinanzierten Projekt zum nächsten ,
im alltäglichen Überlebenskampf um einen Platz an
der Sonne.
Oft ist diese gefährdete Spezies für den ungeschulten
Beobachter nur schwer zu
entdecken. Viele dieser ständig neue
Ideen und Visionen ausbrütenden Menschen werden
durch das
Anwachsen des allgemeinen NICHTS bedroht, beeinträchtigt,
gestört oder
vertrieben, denn:
Die Kunst passt sich an, Sinn wird heutzutage gemacht, denn es hat kaum
noch etwas Einen.
Geschmack besteht im verzweifelten Rennen nach dem
"In" sein. Denn nur das bringt Geld –
wenn überhaupt. Im Run
auf potentielle Sponsoren geht auch das eine oder andere Projekt in
die
Knie – Willkommen in der kulturellen Marktwirtschaft. Kultur und
Bildung werden zur
Ware, der Preisvergleich – nicht der
Qualitätsvergleich – ist bestimmend. Theater werden zu
Dienstleistungsunternehmen, Festivals und Events sind zu
Wirtschaftsunternehmungen
mutiert, die durch Manager und nicht durch
künstlerische Leiter dominiert werden. Kontur-
und Belanglos
werden sie zu einer grauen, zähen Masse in welcher kaum einzelne
farbige
Punkte auszumachen sind. Eine soziale, kritische und
realpolitische Auseinandersetzung findet
kaum noch statt.
Selbstbeweihräucherung und Selbsttherapie stehen im Mittelpunkt,
Bildung
ist nicht erwünscht – es sei denn sie kommt "easy"
und möglichst billig daher. Kulturelle
Bildung ist allgemeiner
Verdummung gewichen, das Denken übernimmt der Fernsehapparat.
Und
dabei gehören – wie wir allerorts hören - Kultur und
Bildung zu den Säulen, welche eine
jede Gesellschaft tragen.
Doch
aktuelle Politik zermalmt diesen Grundpfeiler stetig. Kultur und
Bildung werden
ausgehungert, einzig Prestigeprojekte und damit die
– jetzt schon überbezuschusste –
Hochkultur werden
& wird gefördert.
Vielen der Besucher des projekttheater ist
diese Problematik sicher nicht bewusst.
Aus diesen Gründen sehen
wir es als unbedingt notwendig an, die Kultur vor diesen
zerstörerischen Einflüssen schützen zu müssen.
Daher erklärt sich das projekttheater dresden ab sofort und per
Dekret zum
kulturschutzgebiet.
§ 1 Name, Sitz und Ausdehnung
1. Das Kulturschutzgebiet führt
den Namen
"kulturschutzgebiet projekttheater"
2. Sitz ist Dresden,
Louisenstr. 47, 01099 Dresden.
3. Das kulturschutzgebiet projekttheater
umfasst die gesamte
Immobilie, d.h. Vorderhaus, Seitengebäude und
Hinterhaus sowie
Hofgelände
4. Die im Vorderhaus wohnhaften Mieter
sind hierbei NICHT
ausgeschlossen
§ 2 Ziele und Aufgaben
1. Das kulturschutzgebiet verfolgt die Ziele:
* Schaffung und Unterhaltung eines geschützten Raumes für
unabhängige
künstlerisch und kulturell arbeitende Menschen
* Schutz und Erhalt exemplarischer Theater- und Kunstprojekte
* Sicherung,
Entwicklung und Verbreitung humanistischer Werte
* Schutz der Kultur vor
Verflachung, Verdummung und dem entsprechenden
Publikum
* Begünstigung von kulturellen Randgruppen, z.B. freien
Künstlern
* Beihilfe zur Kommunikationserziehung
* Pflege und Wartung
der deutschen Sprache, besonders des Genitivs
2. Die Ziele werden
insbesondere verwirklicht durch
* das Abwenden allgemeiner und spezieller
Bedrohungen trotz besseren
Wissens durch Politik und Gesellschaft
* Kampf
gegen die künstlerische Bestandsgefährdung – und
Einschränkung
durch absurde Entscheidungen von Staats-, Landes-
und/oder
Stadtregierung sowie weiterer Vereinigungen
* Gegenwehr
bezüglich aller negativen Einflüsse auf das
kulturschutzgebiet
projekttheater
§ 3 Gemeine Nützlichkeit
1. Das kulturschutzgebiet und die darin
involvierten Personen sind
opferbereit- und willig in der
Erfüllung der gesteckten Ziele tätig
2. Alles, was sich selber
rechnet ist besonders willkommen
3. Spenden, Geschenke, Opfergaben,
Bestechungen und
Begünstigungen sind ausdrücklich
gewünscht
§ 4 Mit- und Ohnegliedschaft
1. Das kulturschutzgebiet
projekttheater umfasst alle humanistisch /
idealistisch und pragmatisch
denkende Menschen jeden Alters
2. Widerspruchsrecht besteht nicht.
3. Jeder,
welcher das kulturschutzgebiet betritt, hat sich an die
Regeln zu
halten.
4. Das kulturschutzgebiet wird kompromisslos und autoritär
verwaltet,
basisdemokratisches Gerede über die Grundlage als
Fundament der
Basis wird nicht nur nicht geduldet, sondern
ausgeschlossen.
§ 5 Rechte und Pflichten im kulturschutzgebiet
1. das
Verlassen der ausgetretenen Wege der Kulturpolitik ist
unbedingte und
erste Pflicht
2. Finanzielle Kürzungen sind strengstens untersagt.
Sollten sie doch
vorgenommen werden, so ist das Lagern an nicht dazu
ausgewiesenen Stellen (vor Ministerien, Rathäusern usw.) , sofern
es nötig wird ist die Pflicht eines jeden Kulturbewussten und
Kulturschutzgebietnutzers
3. mitgebrachter Abfall wird wieder mit nach
Hause genommen und
dort entsorgt
4. Liebe Hundebesitzerinnen und
Hundebesitzer,
dieses Kulturschutzgebiet zeichnet sich durch eine Vielzahl von
besonders kämpferischen und rauen Mit- und Ohnegliedern aus.
Hierbei wirkt sich jedoch der Nährstoffeintrag durch Hundekot
negativ auf die Stimmung aus und kann zu ernsthaften
Komplikationen
führen. Deshalb ist für Hunde das Betreten des
Kulturschutzgebietes projekttheater untersagt.
5. um das Aussterben der
zahllosen künstlerischen
Lebensgemeinschaften zu verhindern, ist
die Aneignung und der
Missbrauch von kulturschutzgebietseigenen
Illusionen bei Strafe
verboten.
6. die gekennzeichneten
künstlerischen Brut- und Aufzuchtsgebiete
dürfen nur
mit allergrößtem Respekt betreten werden. Hierbei wird
das
Mitbringen alkoholischer Getränke (Rotwein) empfohlen.
7. den
Anweisungen und Bevormundungen der
Kulturschutzgebietsverwalter ist
sofort und unbedingt Folge zu
leisten. Diskussionen sind nicht
erwünscht. Verstoß Haftung
§ 6 Verantwortung und
Zuwiderhandlungen
1. Im kulturschutzgebiet gilt grundsätzlich der
gesunde
Menschenverstand. Bei wem dieser verkümmert oder
abgestorben
ist, sollte das Betreten des Gebietes weiträumig
vermeiden.
2. Beim Betreten des Kulturschutzgebietes unterwirft man sich
den
aufgestellten Regeln. Zuwiderhandlungen werden je nach Schwere
mit
Arbeitseinsätzen bis zu 40 Stunden oder aber einer Spende von
mindestens 50,00 € bestraft.
3. In schweren Fällen kommt es zu
einem Zwangsbesuch einer
Theatervorstellung.
4. verantwortungslose
Personen, welche das Kulturschutzgebiet an
sich oder aber die darin
wieder heimisch Gewordenen leichtsinnig
in Gefahr bringen, werden
bestraft, mit sofortiger Wirkung aus dem
Kulturschutzgebiet
ausgeschlossen und es wird ein
Betretungsverbot ausgesprochen.
5. Alle
Mit- und Ohneglieder des Kulturschutzgebietes sowie seine
Nutzer haben
das uneingeschränkte Recht, gegen Personen oder
Behörden, die
fahrlässig mit dem Kulturschutzgebiet umgehen,
aktiv
einzuschreiten und die Gefahren damit abzuwenden.
§ 7 Allgemeines
1. Diese Verfügung tritt am 01.09.1997 in Kraft.
2. Mit dem Einhalten der
Regeln, der Abgabe einer Spende und/oder dem
Besuch von
Theatervorstellung leisten Sie Ihren Beitrag zum Schutz
unser Kultur
und Bildung, so dass sich auch Ihre Nachbarn, Mitmenschen
und
hoffentlich auch noch Ihre Kinder und Enkel an der Schönheit und
Vielfalt der heimischen Kultur erfreuen können.